Studiengang Informationswissenschaft (Bachelor of Science)

Wahlpflichtkatalog

Themenbereich: Online Marketing

Modulbezeichnung Online Marketing & User and Information Behavior   Modulbeschreibung als pdf laden
(Online Marketing & User and Information Behavior)
Belegnummer 7411
Studiengang / Verwendbarkeit Bachelorstudiengang Informationswissenschaft
Modulverantwortliche(r) Prof. Dr. Bernd Jörs
Dozent(in) Prof. Dr. Bernd Jörs
Dauer 1 Semester
Credits 5 CP
Prüfungsart Abschlussklausur / Experimentdokumentation
Sprache Deutsch
Inhalt

Zu den wichtigsten und sich am dynamischsten entwickelnden Forschungs- und Anwendungsfeldern der modernen Informationswissenschaft der letzten Jahre gehören ohne Frage die fachübergreifenden Analysen des information behavior mit ihren Teildisziplinen: Information Seeking-, -Search, User-Behavior. Die deutsche Informationswissenschaft bedauert sich selbst (Eisweiler et al., IWP, 2015, 66(1), 1-2), dass sie hier relativ spät auf den im angloamerikanischen Wissenschaftsraum schon lange abgefahrenen Zug der Befassung mit solchen Fragen des „interactive information retrieval“, dass das eher traditionelle information retrieval ergänzen soll, weil dieses nicht mehr ausreichende Erklärungskraft besitzt (ISI 2011) sowie der Human Decision Making-, Conversion Optimierungs- und der Usability-Forschung, also die Fragen nach dem Informations-, Such- und Entscheidungsverhalten von Nutzern, Konsumenten und Produzenten, aufgesprungen ist.
Die damit verbundenen verhaltenswissenschaftlichen, meist auf experimentelle For-schungen (auch oder primär unter Laborbedingungen) basierenden Erkenntnisse sind stark verwoben mit den Forschungserfolgen der kognitiven Neurowissenschaften.
Nicht überraschend sind deshalb das Aufkommen und die Forderungen nach einer mehr und mehr transdisziplinären „Informing Science“ (nicht information science) in der anglo-amerikanischen Wissenschaftslandschaft. Diese hat sich in Form von interdisziplinären Institutsgründen und Kongressen explizit zum Ziel gesetzt:
"The fields that comprise the transdiscipline of Informing Science (1) provide their clientele with information (2) in a form, format, and schedule (3) that maximizes its effectiveness". Dabei untersucht diese "informing science" (1) biological and psychological issues in how clients attend, perceive, and act on information provided (2) the decision making environment itself,  including its sociology and politics (3) issues involving the media for communicating information (4) error, bias, misinformation, and disinformation in informing systems."
Auch hier hat die deutsche Informationswissenschaft eher geruhsam geschlafen.

Für BachelorstudentInnen wird es in Zukunft eine wichtige und wettbewerbsrelevante Qualifikation sein, über diese verhaltensökonomischen Einflussgrößen bei der Planung, Konstruktion, dem Design und der Analyse elektronischer Plattformen (im Sinne des Market Engineering) sowie der Implementierung von inhouse Information- und Suchmaschinensystemen (Enterprise Search) effizientere und nutzer- sowie usabilityfreundlichere Lösungen zu entwickeln bzw. zu optimieren. Gerade im Zeitalter des information bzw. relevance overload ein unumgängliches Alleinstellungsmerkmale für diese AbsolventInnen.
Insbesondere für Studierende der Schwerpunktausrichtung "Online Marketing Engieering" sind solche Kenntnisse von weitreichender Bedeutung. Schon in der einschlägigen Fachzeitschrift "Website Boosting" /Nr. 37 & 38, 2016) hat sich der Würzburger E-Commerce-Professor Tobias Aubele mit den "Heuristiken in der Conversion Optimierung – Die Wissenschaft hinter irrationalem Handeln" beschäftigt.

Das grundlegend angestrebte Qualifikationsziel dieses Fachmodul ist die Vermittlung von speziellen quantitativen und heuristischen Verfahrenstechniken des neuzeitlichen Information Behavior, der Online Marketing User-Forschung und der Behavioral Economics als Teil des Online Marketing Engineering und deren kritische Reflexion aus Sicht der Informationswirtschaft, der Informationspsychologie, der Neurowissenschaften und der Betriebswirtschaft, insb. des Marketing und der Mikroökonomie..
Erlernen professioneller Informationsaufbereitungen, -visualisierungen und -repräsentationen unter Berücksichtigung betriebswirtschaftlicher und kognitionswissenschaftlich-psychologischer Determinanten und Heuristiken der Informationswahrnehmung, Informationsverarbeitung und Informationsdistribution. Einführung in die experimentelle Informationsverhaltensforschung.
Elementar für diesen zukunftsträchtigen wissenschaftlichen Untersuchungsbereich ist die Befähigung zur experimentellen Forschung. Hierfür sollen Interesse und erste Grundlagen geschaffen werden.

Angestrebte Lernergebnisse
(Learning Outcome)

Eine Auswahl von inhaltlichen Fragestellungen lässt schon die Breite und Tiefe der Untersuchungsobjekte erahnen, die mit diesen verbundenen Teildisziplinen des Online Marketing & User and Information Behavior

(1) So steht die Analyse von „user experience“ (UX), usability und information needs im Rahmen der neuzeitlichen Disziplin „Information Architecture“ zur Optimierung von Informationsvisualisierungs – und Informationswahrnehmungsprozessen ganz oben auf der Interessensagenda. Dies geht heutzutage nicht mehr ohne verhaltens- und neurowissenschaftliche Erkenntnisse, die in diese Problemstellung der professionel-len Gestaltung  von „Content findability“ integriert werden muss. Wer hier für die Content (Marketing)-Gestaltung verhaltens- und neurobiologische bzw. neuropsycho-logische Kenntnisse umzusetzen weiß, wird effektivere, nutzerfreundlichere Such- und Informations-(steuerungsprozesse modellieren können, und damit das „finding“ und die Personalisierung optimieren.
(2) Die mit der „Content findability“ verbundenen Teildisziplinen der „Suchmaschinen-optimierung“, des Suchmaschinenmarketing, accessibility oder media design werden – wie jetzt schon Versuche im Zusammenhang mit „behavioral targeting“ zeigen – sehr stark auf die Ergebnisse des Information Behavior und User Experience angewiesen sein. Hier sind dringend interdisziplinäre, über den Tellerrand gehende Betrachtungen des Nutzer- und dessen Informations-, Such- und Entscheidungs-verhaltens einzubeziehen.


(3) Wird die linkbasierte (Google-)Suche bald vermehrt von der „sozialen“ Suche (à la facebook/microsoft) ergänzt oder gar abgelöst? Know-how über die Informations-, Entscheidungs- und Suchverhaltensmuster der Nutzer kann hier ein elementarer Wettbewerbsvorteil sein, vor allem dessen Steuerung.
(4) Das gilt auch für die originäre informationswissenschaftliche Teildisziplin der Inhaltserschließung und Wissensrepräsentation. Nur die nutzerorientierte Anpassung an relevante Suchbegriffe und Suchprozesse werden passende (Facetten-)-Klassifikationen ermöglichen, gerade aus Sicht der zunehmenden Personalisierung von Such(unterstützungs)aktivitäten. In diesem Zusammenhang sei nur auf die (Forschungs-)Intentionen in Richtung der „semantischen Suche“ oder der Vorstufe hierzu, den „Linked data“-Bemühungen, hingewiesen, die ohne solche Informations-verhaltenserkenntnisse schnell am Bedarf vorbei Softwarelösungen basteln oder auf rein (computer)linguistischen Sichtweisen stehenbleiben.

Behandelt werden sollen folgende Gesichtspunkte:

  1. Information und Entscheidung: Grundbegriffe und Differenzierungen
  2. Traditionelle Ansätze der Informationsökonomie und der herkömmlichen Entscheidungstheorie (Bernoulli-Denken, μ-σ-Kriterium)
  3. Erwartungswert und Erwartungsnutzenwert (St. Petersburger Münzspiel). Kritik der klassischen Nutzentheorie; Allais-Paradoxon
  4. Psychologische und kognitionswissenschaftliche Grundlagen der Informationswahrnehmung, -verarbeitung und –vermittlung
  5. Neurobiologische Basics der Informationswahrnehmung/-verarbeitung
  6. Heuristische Verfahren der Komplexitätsreduktion und Urteilsfindung: Simplification, Mental Accounting, Verfügbarkeitsheuristik, Informationsvernach-lässigung, selektive Wahrnehmung, Priming-Effekt/Bahnungseffekte, Compati-bility-Effect), Verankerungsheuristik, Repräsentativitätsheuristik (Conjunction fallacy, Gambler’s fallacy, Conditional probability fallacy), Likelihood-Verfahren, Bayes Theorem), Attributionstheorie (dispositionale, situative Attribution, Fundamentale Attributionsfehler);
  7. Referenzpunktanalytik (Adaptionsniveau), Psychophysik, Bezugspunkte und abnehmende Sensitivität, Ambiguitätseffekt
  8. Prospect Theory – ein verhaltenswissenschaftlich-deskriptiver Erklärungsansatz der Informationswahrnehmung und Entscheidung für die Praxis; Modell der Werte-Funktion (value function); Wahrscheinlichkeitsgewichtungen; Konkave und konvexe Kurvenverläufe und deren Interpretation; Loss aversion
  9. Variationen der Prospect-Theory: Reflection-Effect und Risikoaversion; Framing-Effect; Dispositionseffekt; Sunk cost-Phänomen; Hedonic Framing (Mentales Verbuchen); Seggregation und Integration; Bezugspunktverschiebungen und deren Auswirkungen; Certainty-Effect; Common different-Effect; Immediately-Effect, Happy-Endings-Effect, Overconfidence
  10. Bias-Phänomene: Home-Bias, Hindsight-Bias, Chunking, Confirmation Bias, Domestic Bias, Ingroup-Bias, Mindguard-Bias, Omission Bias, Status-quo-Bias
Niveaustufe / Level Fortgeschrittenes Niveau (advanced level course)
Lehrform / SWS Seminar (4SWS)
Arbeitsaufwand / Workload 128 Stunden
Units (Einheiten)
Notwendige Voraussetzungen

Wirtschaftswissenschaftliche Grundlagen. Grundlegende Kenntnisse statistischer Methoden.

Empfohlene Voraussetzungen

Motivation. Ansonsten Interesse an einem Einstieg in einen der dynamischsten Bereiche des Online Marketing.

Häufigkeit des Angebots
Anerkannte Module Siehe § 19 ABPO
Medienformen
Literatur

1. Fachzeitschrift „Website Boosting“
2. www.suchradar.de
3. Kahneman, Daniel; Slovic, Peter; Tversky, Amos: Judgement under uncertainty: Heuristics and biases; Cambridge University Press, Cambridge, MA 1982.
4. Beck, Hanno: Behavioral Economics. Eine Einführung; SpringerGabler, Wiesbaden, 2014.
5. Jungermann, Helmut; Pfister, Hans-Rüdiger; Fischer, Katrin: Die Psychologie der Entscheidung; Elservier Spektrum Akademischer Verlag, 2.Aufl., Heidelberg 2005.
6. Nitzsch, Rüdiger von: Entscheidungslehre; Schäffer-Poeschel Verlag, Stuttgart 2002
7. Thaler, R.; Sunstein, C.: Nudge. Wie man kluge Entscheidungen anstößt. New York 2010
8. Dubben, Hans-Hermann; Beck-Bornholdt; Hans-Peter: Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit. Logisches Denken und Zufall; Rowohlt Verlag, Hamburg 2005
9. Roth, Gerhard: Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten. Stuttgart 2007
10. Vorlesungsunterlagen
11. Weitere Literaturhinweise in der Lehrveranstaltung

Stand: 31.08.2016, 14:19:18. Ältere Versionen im Archiv.